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Conrad Martin Siemund: Praktikum an der Universitätsbibliothek Leipzig

Mein Praktikum absolvierte ich im Rahmen des Forschungsprojektes „Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke der Aufklärung“ an der Universitätsbibliothek Leipzig, im Zuge dessen eine größer angelegte Forschungsdatenbank [https://gelehrte-journale.de/startseite]    entsteht. Die Praktikumssuche erfolgte während der Corona-Einschränkungen, sodass es von Vorteil war, dass es sich hierbei um ein rein digitales Projekt handelt. Die Ergebnisse dreier Erschließungsprojekte machen dem Nutzer bis 2025 einen Zeitschriftenkorpus von 323 deutschsprachigen gelehrten Periodika des Zeitraumes von 1688 bis 1815 verfügbar. Die gelehrten Journale gelten als Schlüsselwerke der Aufklärung und bieten Inhalte zu den Themengebieten Rezensionswesen, gelehrter Streitkultur als auch zur Institutions- und Buchgeschichte. Die Darstellungstools sind dabei interaktiv angelegt, sodass sich die Suchergebnisse modifizieren lassen.

Ausschnitt aus der historischen Fächersystematik

Ausschnitt aus der historischen Fächersystematik

Ausschnitt aus der historischen Fächersystematik

Gemeinsam mit dem Bibliotheks- und Projektleiter Herrn Prof. Dr. Schneider und der wissenschaftlichen Bearbeiterin der Datenbank Frau Dr. Löffler, die mich im Weiteren betreute, wurden die Schwerpunkte des Praktikums festgelegt. Es sollten einerseits die Nutzungsmöglichkeiten und Potentiale der Datenbank für die Musikwissenschaft ausgelotet, und andererseits ein eigenes Forschungsinteresse formuliert werden. Ich verschaffte mir anfangs einen Überblick über die Quellenlage. Hierzu verwendete ich die Fächersystematik, in der die Musik neben der bildenden Kunst und schönen Literatur erscheint: Die praktische Musik verzeichnete 984 Einträge, wovon die Systemstellen „Lieder“, „Musiktheater“ und „Musikalische Werke für Soloinstrumente“ die meisten Einträge zeigten. Die Themenfelder zur Geschichte und Theorie der Musik wiesen 451 Einträge auf, wovon die „Musiktheorie“, „Musikgeschichte“ und die „Musikkultur einzelner Länder“ quantitativ am besten abgebildet waren

. Im Vergleich zu anderen Systemstellen wie „deutsche Epische Texte“ mit 2095 Einträgen, „deutsche Dramatische Texte“ mit 1223 Einträgen oder den „Werken der Bildenden Kunst“ mit insgesamt 1724 Einträgen, steht der Stellenwert der Musik innerhalb der Journale und Zeitungen eher zurück.

Nach einem Blick in die Quellen per Direktlink wurde mein Forschungsinteresse für die Bewertungskriterien der Rezensionen geweckt. In ihnen spiegelten sich die Wahrnehmungen der Rezensenten auf musikalische Druckerzeugnisse, womit sie einen Zugang zum aufgeklärten Denken über Musik eröffneten. Mein Forschungsziel war es daraufhin, die Bewertungsmaßstäbe der Rezensenten zu erarbeiten und anschließend geschichtlich zu verorten. Hierfür wählte ich drei Systemstellen aus, wobei rund 130 Rezensionen analysiert wurden. Die Auswertung forderte mich dazu heraus, zu unterschiedlichen Themengebieten der Musikwissenschaft (wie Musikaliendruck, musikalische Öffentlichkeit oder Musikkritik) Recherchearbeiten anzustellen und die Ergebnisse zu den Quellen ins Verhältnis zu setzen. Hierbei fiel auf, dass sich die Systemstellen selbst schwer kontextualisieren ließen, da jede eine Vielzahl an musikalischen Gattungen beinhaltete und diesen wiederum spezifische Kriterien zukamen. Die Präsentation der Ergebnisse hatte somit zum Fokus, die gattungsbezogenen Kriterien musikhistorisch zu verorten und in einer Zusammenschau zu fassen, welche die Trennungslinien innerhalb der jeweiligen Systemstelle berücksichtigte, ohne deren Tendenzen aus den Augen zu verlieren.

Wahrnehmungstendenzen einer Systemstelle, aber auch redaktionelle Tendenzen konnten erarbeitet werden: In der Systemstelle „Musikalische Werke für Soloinstrumente“ befinden sich die sog. Übungsstücke, wozu Menuette, Polonaisen, frz. Tanzstücke und Klaviersonaten zählen, welche für die Gruppe der „Kenner und Liebhaber“ komponiert wurden. Bei der Bewertung der musikalischen Werke wurden die Erwartungen und musikalischen Ansprüche dieser Interessentenkreise von den Rezensenten mitberücksichtigt, was sich in den Kriterien abzeichnete. In den Jahren 1762 bis 1769 rezipierten diese vermehrt die Übungsstücke C. Ph. E. Bachs und J. P. Kirnbergers. Hierbei traten die Bachsche Applikatur und die Spielbarkeit der Stücke als positive Bewertungskriterien hervor. Den Lesern wurden bestimmte Werke empfohlen, andere wiederum öffentlich kritisiert und getadelt. In beiden Fällen aber war die praktische Ausbildung der Interessentenkreise ausschlaggebend. Diese Leitlinie der Rezensenten lässt sich auf die Rezeption der Bachschen Klavierschule (erster Teil) von 1753 zurückführen. Denn das erste Hauptstück befasst sich in 99 Paragraphen mit dem Fingersatz und hebt somit deren Bedeutung für die praktische Ausbildung der Klavierspieler hervor. In diesem Rezeptionsprozess lässt sich zudem eine redaktionelle Tendenz feststellen, da 11 Rezensionen zu dieser Thematik auf die „Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen zurückgehen.

Die gelehrten Blätter bieten zudem einen Quellenfundus zur Rezeptionsgeschichte der Kirchenmusik im Zeitalter der Aufklärung. Es ließe sich bspw. das größer angelegte Projekt der aufgeklärten Theologen und Dichter zur Reformation der gottesdienstlichen Gesangbücher nachverfolgen. Innerhalb der Systemstelle „Kirchenmusik, Geistliche Musik“ gab es hierfür stichhaltige Hinweise: Die Rezensenten bewerteten die Liedkommentare und Gesangbücher u.a. nach den Kriterien der Deutlichkeit und Klarheit ihrer Begriffe. Jene erscheinen sieben Mal, wobei Ch. F. Gellerts „Geistliche Oden und Lieder“ (1757) das Vorbild hierfür abgeben. Die Systemstelle „protestantische Gesangbücher, Gebetbücher“ (Hauptfach Theologie), verzeichnet 203 Rezensionen und bietet zur angesprochenen Thematik eine gute Quellenlage und regt zur weiteren Beschäftigung mit der Datenbank an.

Trefferliste zum Suchbegriff Musikalienhandel zwischen 1726 und 1786.

Trefferliste zum Suchbegriff Musikalienhandel zwischen 1726 und 1786.

Trefferliste zum Suchbegriff Musikalienhandel zwischen 1726 und 1786.

Ein letztes interessantes Themengebiet der Musikwissenschaft ist der Musikalienhandel des 18. Jahrhunderts, der sich innerhalb der Datenbank ergiebig abbildet und in der Forschung bisher kaum behandelt wurde. Die Journale und Zeitungen liefern hier Pränumerations- und Subskriptionslisten und geben Informationen zu Vertriebsnetzwerken und Distributionswegen der Autoren und Verleger. Pränumeration und Subskription waren die gängigen Vertriebswege des Musikalienhandels im 18. Jahrhundert die insbesondere ab 1770 gezielt genutzt wurden, einen Bedarf beim Publikum zu wecken und die Kosten, die für die Drucklegung anfielen, zu kalkulieren. Hierzu mussten die potenziellen Käufer über den geplanten Notendruck informiert werden, was u.a. durch Ankündigung in den gelehrten Zeitungen geschah. Die Datenbank bietet für diese Thematik vielfältige Informationen: Auflistung der Kolligenten, die für Komponisten im Selbstverlag beim Vertrieb eigener Werke eine zentrale Rolle spielten; Nachvollzug der Druckkosten und des Erscheinungsformats; Abbildung der Druckerlandschaften in den verschiedenen Städten des alten Reichs; insbesondere Rezeption des Breitkopfschen Druckverfahrens.

Abschließend kann gesagt werden, dass ich im Verlauf des Praktikums einen forschungsorientierten Zugang in eines der derzeit größten Erschließungs- und Digitalisierungsprojekte zum Aufklärungszeitalter erhielt. Mir wurden Einblick in die Erschließungstechniken wie Schlagwortvergabe, Systematisierung und bibliographische Aufbereitung der Zeitungsartikel, aber auch deren graphische Darstellungen vermittelt. Die Bereitstellung der Digitalisate ermöglichte mir eine Vielzahl an Quellen einzusehen, was als bedeutender Mehrwert des Datenbankprojektes angesehen werden kann. Der Blick in die Originale ließ mich dabei ein besseres Gefühl für die sprachlichen Zeugnisse der Aufklärung entwickeln. Die inhaltliche und darstellende Aufbereitung der gelehrten Zeitungen waren konstitutiv für meine Arbeit und können deshalb auch auf dem Gebiet der Musik als erkenntnisfördernd gesehen werden. Die gelehrten Journale bieten für die Musikwissenschaft zudem einen Erkenntniswert, da sich Rezeptionsprozesse nachverfolgen lassen und zeitliche und topografische Verortungen durch Filterfunktionen vereinfacht werden.

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