Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Weiteres

Login für Redakteure

Katharina Hänßler: Praktikum am Krokoseum in den Franckeschen Stiftungen zu Halle

Aus Interesse an den Herausforderungen einer praktischer Kulturvermittlung, die sich insbesondere an ein sehr junges und daher (noch) wissenschaftsfernes Publikum richtet, führte mich das Praxismodul des Masterstudiengangs „Kulturen der Aufklärung“ an das Krokoseum der Franckeschen Stiftungen in Halle   . Dieses im Sockelgeschoss des (für das UNESCO-Weltkulturerbe nominierten) Historischen Waisenhauses situierte Kinderkreativzentrum bietet ein vielfältiges kultur-, museums-, kunst- und medienpädagogisches Angebot für Kinder bis 12 Jahren, sowie für angemeldete Kindergarten- bzw. Hortgruppen und Schulklassen.

Im Laufe meiner zweimonatigen Mitarbeit im Krokoseum erlangte ich erstens einen zugleich intensiven wie facettenreichen Einblick in verschiedene Ansätze kindgerechter Kulturvermittlung. Zudem konnte ich zweitens im Rahmen der wöchentlichen Reihe „Wunderkammerlabor“ ein zweistündiges Angebot zum sogenannten Schriftenschrank der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen    erarbeiten und umsetzen.

Die Räume des Krokoseums im Sockelgeschoss des Historischen Waisenhauses, © Franckesche Stiftungen zu Halle.

Die Räume des Krokoseums im Sockelgeschoss des Historischen Waisenhauses, © Franckesche Stiftungen zu Halle.

Die Räume des Krokoseums im Sockelgeschoss des Historischen Waisenhauses, © Franckesche Stiftungen zu Halle.

Kulturvermittlung am Krokoseum

Das tägliche Angebot des Krokoseums teilt sich in ein Vor- und ein Nachmittagsprogramm. Von jeweils 9-12 Uhr werden unter Leitung der Museumspädagogin Claudia Schmid vorangemeldete Gruppen zu Themen wie „Kochen und Backen wie zu Franckes Zeiten“ oder „Schreibschule – Buchgestaltung und Erproben unterschiedlicher Drucktechniken“ betreut. Diese Angebote bestehen stets aus mehreren Elementen, z.B. aus dialogischen Einführungen, Spielen, Geländeführungen und Werkstattangeboten. Frau Schmid bezog mich dabei sehr schnell und herzlich in ihre Arbeit ein und ließ mich nach und nach Teile der Führungen übernehmen, wobei ich auch eigene Vorschläge umsetzen durfte. So lernte und verinnerlichte ich rasch, kulturelle und historische Themen so vorzutragen, dass sie die Kinder erreichen. Als besonders wichtig erwies sich dabei der Faktor der Anschaulichkeit. Diese kann einerseits durch Bezüge zur realen Lebenswelt der Kinder hergestellt werden (durch Vergleiche und Gegenüberstellungen mit dem historischen Gegenstand), andererseits ergibt er sich durch die materiellen historischen Objekte selbst. Die Franckeschen Stiftungen mit ihrem historischen Lehrgarten, der Backstube, den alten Schulräumen und nicht zuletzt der Wunderkammer bieten hierfür ein wunderbares Lernumfeld.

Praxisbezug und handelndes Lernen werden auch im Nachmittagsprogramm des „Krokoseums“ angestrebt. Je nach Wochentag wird hier von 16-18 Uhr ein themengebundenes kunst- bzw. kulturpädagogisches Programm angeboten: „Lesefee“, Papier- oder Buchkinderwerkstatt sowohl das jeweils dienstags stattfindende Wunderkammerlabor.

Das Wunderkammerlabor

Das Wunderkammerlabor bot auch den Rahmen, innerhalb dessen ich in meinem Praktikum selbstständig ein museumspädagogisches Modul erarbeiten konnte. In diesem Format werden die Kinder, ausgehend von der Betrachtung eines materialen Objekts in der Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen, an ein bestimmtes natur- oder kulturwissenschaftliches Thema herangeführt und zum eigenen Experimentieren angeregt.

Die ab 1698 von A. H. Francke zu pädagogischen Zwecken eingerichtete barocke Kunst- und Naturalienkammer befindet sich im Dachgeschoss des Historischen Waisenhauses. Vom Krokoseum aus kann sie heute also einfach über eine Treppe erreicht werden. Es handelt sich bei ihr um eine bunte, jedoch systematisch angelegte Kollektion von einstmals über 5000 Exponaten, welche nach dem leitenden Prinzip „Macrocosmos in Microcosmo“ ein exemplarisches Abbild des irdischen Kosmos geben sollten. Die Objekte sind auf 18 original erhaltene, thematisch sortierte Schränke verteilt.

Mit der Einrichtung einer Wunderkammer folgte August Hermann Francke der Mode seiner Zeit. Einzigartig war jedoch ihre pädagogische Ausrichtung. © Archiv Franckesche Stiftungen

Mit der Einrichtung einer Wunderkammer folgte August Hermann Francke der Mode seiner Zeit. Einzigartig war jedoch ihre pädagogische Ausrichtung. © Archiv Franckesche Stiftungen

Mit der Einrichtung einer Wunderkammer folgte August Hermann Francke der Mode seiner Zeit. Einzigartig war jedoch ihre pädagogische Ausrichtung. © Archiv Franckesche Stiftungen

In Absprache mit der Leiterin Susanne Kovacs wählte ich Schrank XVI.Q., den Schriftenschrank zum Thema für das Wunderkammerlabor. Dieser Schrank beinhaltet sowohl Aufzeichnungen und Bücher in verschiedenen Sprachen und Schriften (etwa arabische und türkische Urkunden, ein jüdisches Gebetsbüchlein, ein syrisches Alphabet-Büchlein, eine birmanische Palmblatt-Handschrift, einen tartarischen Brief, einen Runenkalender, eine kyrillische Schriftrolle), sowie  diverse Schreibmaterialien.

Zur Vorbereitung konnte ich auf die bestandsorientierte Forschung der Franckeschen Stiftungen zurückgreifen. Besonders profitierte ich von dem von Heike Link und Thomas Müller-Bahlke herausgegebenen Sammelband „Zeichen und Wunder. Geheimnisse des Schriftenschranks in der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen“, der Provenienz und kulturellem Kontext der einzelnen Exponate nachgeht.

Bei der Erarbeitung des Modul stellte sich mir die Frage: Möchte ich die Kinder zu den einzelnen Objekten informieren, oder diese lediglich als Hilfsmittel und Anlass nutzen, die Kinder ganz allgemein für das Phänomen „Schrift“ zu interessieren? Ich entschied mich für letztere Möglichkeit. Ausschlaggebend dafür war die Beobachtung, dass nach heutigem Forschungsstand die tatsächlichen semantischen Inhalte der ausgestellten Schriftstücke sich als zum Teil überraschend banal erweisen. Auch andere Indizien (etwa die spiegelverkehrte Abschrift einiger Zeichen) sprechen dafür, dass die Objekte im 18. Jahrhundert nicht aufgrund ihrer konkreten Bedeutung Teil der Sammlung wurden, sondern wegen ihres wunderlichen Aussehens und dessen phänomenologisch-pädagogischen Potenzials. Was zählte, so meine These, war nicht der Inhalt der einzelnen Schriften, sondern dass sie im ästhetischen Zusammenspiel ein faszinierendes Abbild des „Schriftenkosmos'“ boten. Diese Überlegung bewog mich dazu, mir genau diese Wirkung des Schrankes auch in der heutigen pädagogischen Arbeit in der Kammer zu Nutze zu machen.

Gottfried August Gründler zimmerte nach A. H.Franckes Tod eigens für die Sammlung der Wunderkammer und versah diese mit aufwendigen Bemalungen. Den Schriftenschrank schmückt zentral ein Zitat aus Genesis 11, der Geschichte des Turmbaus zu Babel.
© Franckesche Stiftungen zu Halle

Gottfried August Gründler zimmerte nach A. H.Franckes Tod eigens für die Sammlung der Wunderkammer und versah diese mit aufwendigen Bemalungen. Den Schriftenschrank schmückt zentral ein Zitat aus Genesis 11, der Geschichte des Turmbaus zu Babel. © Franckesche Stiftungen zu Halle

Gottfried August Gründler zimmerte nach A. H.Franckes Tod eigens für die Sammlung der Wunderkammer und versah diese mit aufwendigen Bemalungen. Den Schriftenschrank schmückt zentral ein Zitat aus Genesis 11, der Geschichte des Turmbaus zu Babel.
© Franckesche Stiftungen zu Halle

Ich konzipierte einführende Spiele, in welchen Kinder die Funktion von Schrift sowie Unterschiede zwischen Zeichen und Symbolen erkunden können. Daraufhin wurden die Kinder zum Schriftenschrank geführt.

Diesem näherten wir uns in einer offenen Gesprächsrunde, in der das Gesehene beschrieben und befragt wurde. Ganz im Sinne der vermuteten phänomenologischen Funktion versuchte ich, die Kinder durch fragmentarische Anekdoten und Hinweise zu bestimmten ästhetischen Aspekten der Objekte für das Phänomen Schrift im Sinne eines eigenen, geheimnisvollen Kosmos' zu interessieren. Daraufhin zeichnete jedes Kind ein Zeichen einer Schrift aus den Exponaten des Schrankes ab, wozu sie die biblische Geschichte des Turmbaus zu Babel und der durch ihn verursachten Sprachverwirrung hörten, welche den Schrank in seiner Bemalung als Leitzitat schmückt. Zurück in den Räumen des Krokoseums besprachen wir die Herkunft der abgezeichneten Schriften und lösten das ‚Geheimnis‘ ihrer Herkunft, wozu wir sie auf einer großen Weltkarte einordneten um die Weltschriften auch visuell zu verorten. Zum Abschluss konnten die Kinder anhand von Zeichentabellen Lesezeichen mit ihrem Namen in verschiedenen Schriftsprachen gestalten.

Rückblickend ließen sich mehrere interessante Beobachtungen festhalten: So nahmen die Kinder, die noch nicht Lesen konnten, genauso interessiert Teil wie die Schulkinder. Zudem wurde die eingehende Überlegung, dass weniger der Inhalt als das phänomenologische Zusammenspiel der Objekte den Reiz des Schrankes ausmacht, gestärkt: die Kinder interessierten sich vor allem für die ästhetische Qualität der einzelnen Schriften und stellten kaum Fragen zu deren Bedeutung. Gerade durch die Unlesbarkeit weckte der Schrank Interesse am Phänomen Schrift, verleiht diesem etwas Geheimnisvolles. Dieses ‚Mysterium‘ konnte dann pädagogisch aufgegriffen werden um im zweiten Schritt auf die Herkunftsländer der Schriften zu verweisen und das Interesse auf diese zu verlagern.

Um dieses praktische Modul wieder für die Forschung fruchtbar zu machen, könnte man von ihm ausgehend die Forderung formulieren, die Wunderkammer nicht nur zum Gegenstand rationaler und historischer Analysen zu machen, sondern sie auf phänomenologischer Ebene als „Ort des Wunderns“ ernst zu nehmen und sich davon ausgehend ihrer historischen pädagogischen Funktion anzunähern. Im englischsprachigen Raum haben sich vergleichbare Methoden in der jüngeren Wissenschaft bereits etablieren können: In den material culture studies werden Methoden des reenactments neuerdings verstärkt in die Analysen von Objekten und deren settings einbezogen: Ein Wieder-Erleben der historischen Situationen durch eine möglichst authentische Rekonstruktion soll dabei einen phänomenologischen Zugang zum Vergangenen eröffnen.

Überlegungen dieser Art regten mich dazu an, die Abschlussarbeit meines Studiums aufbauend auf das Vertiefungsmodul „Erziehung und Bildung im Zeitalter der Aufklärung“  zur ‚Didaktik des Wunderns‘ am Beispiel der Halleschen Wunderkammer zu verfassen. Das Praktikum im Krokoseum war damit sowohl für mein weiteres Studium als auch in Hinblick auf eine berufliche Zukunft eine wichtige Erfahrung und eine große Bereicherung.

Katharina Hänßler

Zum Seitenanfang