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Franziska Feller: Praktikum an der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen zu Halle

Rekonstruktion einer Kinderbibliothek aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Ich habe die Praxisphase des Moduls zur materiellen Kultur der Aufklärung in der Bibliothek des Studienzentrums August Hermann Francke in den Franckeschen Stiftungen zu Halle im Herbst 2015 absolviert.

Meine Aufgabe bestand in der Rekonstruktion einer Kinderbibliothek aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dieses Projekt hat zum Ziel, die Titel der Kinderbibliothek der Bürgerschule des Waisenhauses zu identifizieren, zu katalogisieren und inhaltlich auszuwerten. Die Grundlage bildet der gedruckte Katalog Die Kinderbibliothek der Bürgerschule im Waisenhause zu Halle von 1833, der im Archiv der Franckeschen Stiftungen überliefert ist. Ob die Bürgerschule im Waisenhaus zu Halle für Mädchen und Jungen offen war, kann durch das Verzeichnis nicht hundertprozentig nachgewiesen werden, aber gemäß Johann Karl Bullmanns Denkwürdige Zeitperioden der Universität zu Halle von ihrer Stiftung an, nebst einer Chronologie dieser Hochschule seit dem Jahr 1805 bis jetzt (1833) handelte es sich bei der Bürgerschule im Waisenhaus zu Halle Anfang des 19. Jahrhunderts um eine reine Knabenschule. Außerdem beinhaltet das vierte Kapitel des Verzeichnisses Bücher für Söhne nach ihrem Austritt aus der Schule, was ebenfalls auf eine Knabenschule schließen lässt.

Abbildung 1: Beispielseite des Bücherverzeichnisses (1833): Die Kinderbibliothek der Bürgerschule im Waisenhaus zu Halle. Erstes Bücherverzeichniß mit einem Vorworte. Halle: Buchdruckerei des Wiasenhauses. http://digital.francke-halle.de/fshv/content/titleinfo/181218

Abbildung 1: Beispielseite des Bücherverzeichnisses (1833): Die Kinderbibliothek der Bürgerschule im Waisenhaus zu Halle. Erstes Bücherverzeichniß mit einem Vorworte. Halle: Buchdruckerei des Wiasenhauses. http://digital.francke-halle.de/fshv/content/titleinfo/181218

Abbildung 1: Beispielseite des Bücherverzeichnisses (1833): Die Kinderbibliothek der Bürgerschule im Waisenhaus zu Halle. Erstes Bücherverzeichniß mit einem Vorworte. Halle: Buchdruckerei des Wiasenhauses. http://digital.francke-halle.de/fshv/content/titleinfo/181218

Die Kinderbibliothek wurde im Jahre 1810 durch eine Stiftung des damaligen Inspektors der Bürgerschule Ernst Bernhardt begründet und wuchs fortan durch weitere Schenkungen an. Nach gut zwei Jahrzehnten gaben die Lehrer der Schule das genannte Bücherverzeichnis Die Kinderbibliothek der Bürgerschule im Waisenhause zu Halle. Erstes Bücherverzeichnis mit einem Vorworte, einen Katalog mit insgesamt 662 Titeln, heraus. Die aufgeführten Titel sind eingeteilt nach solchen 1. für die Unterklassen (Kinder von 7-10 Jahren), 2. für die Mittelklassen (Kinder von 10-12 Jahren), 3. für die Oberklassen (Kinder von 12-14 Jahren) und 4. für Söhne nach ihrem Austritt aus der Schule.

Nach der Sichtung der Verzeichnisse ermittelte ich die bibliographischen Daten der einzelnen Titel, wozu ich gedruckte Nachschlagewerke sowie Online-Kataloge konsultiert habe. Dabei beschränkte ich mich auf die erste Hälfte des Kataloges, in der die Titel der Unter- und Mittelklassen gelistet sind. Um einen Titel nachzuweisen, habe ich zuallererst die einschlägigen Fachbibliographien für Kinder- und Jugendbücher des 18. und 19. Jahrhunderts herangezogen: Alte deutsche Kinderbücher von Heinz Wegehaupt (Wegehaupt I-III), Theodor Brüggemanns Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur (HKJL II-III) sowie Hundert alte Kinderbücher aus Barock und Aufklärung von Hubert Göbel (Göbel). Ergänzend konsultierte ich Online-Kataloge, den Gemeinsamen Verbundkatalog (GVK) und den Karlsruher Virtuellen Katalog (KVK).

Nach der Titelermittlung habe ich versucht, die Titel inhaltlich zu klassifizieren und dabei Gattungen zuzuordnen. Dabei habe ich vier Klassifikationsgruppen – Moralisch belehrende Schriften, Religiöse Schriften, Werke für den Lese- und Schreibunterricht sowie Literatur zur Vermittlung von Wissen und Weltkenntnis – erstellt. Für die Zuordnung nach Gattungen konnte ich mich an der sogenannten Göttinger Liste im GBV zur Beschreibung von Altbeständen orientieren. Das Herausarbeiten der Klassifikationen und die Zuordnung der Titel nach Gattungen erlaubt einen Überblick darüber, welche Klassen von Buchtiteln jeweils in den Unter- und Mittelklassen vorhanden und für welche Altersstufe sie vorgesehen waren.

Die Titeldaten wurden dann mit der Software Allegro-C von mir in eine Datenbank katalogisiert. Da aus dem gedruckten Bücherverzeichnis nicht hervorgeht, um welche Auflagen es sich bei den Büchern in der Kinderbibliothek handelt, habe ich immer die jüngste Auflage der Publikation (bis einschließlich 1833) zu Grunde gelegt. Die Titel wurden nach den folgenden Kategorien in der Allegro-Datenbank katalogisiert:

Lfd. Nummer (#00) – Reihenfolge der Aufnahme

Nr. des Titels im Katalog (#11) – Titelnummer aus dem Bücherverzeichnis

Verfasser, Titel im Katalog (Vorlage) (#18)

Hauptsachtitel : Zusatz zum Sachtitel (#20) – nach Titelaufnahme in GBV oder KVK

Klassifikation (#30)

Gattung (#31)

Verfasserangabe in Vorlageform (#39)

Verfasser = Pseudonym (#40)

Herausgeber (#41)

Illustrator (#50) – sofern Druckgrafik vorhanden

Stecher (#51) – sofern Druckgrafik vorhanden

Auflage (#71)

Erscheinungsort (#74)

Verlag (#75)

Erscheinungsjahr (#76)

Umfangsangaben, Format (#77)

Reihen/Gesamttitel (#80)

Abbildung 1: Anzahl der Büchertitel für die jeweiligen Altersgruppen der Unterklassen und Mittelklassen

Abbildung 1: Anzahl der Büchertitel für die jeweiligen Altersgruppen der Unterklassen und Mittelklassen

Abbildung 1: Anzahl der Büchertitel für die jeweiligen Altersgruppen der Unterklassen und Mittelklassen

Dazu kommen noch einige Informationen, die als Fußnoten eingefügt werden können: Umfang und Art der Illustrationen (#81), Hinweis auf die 1. Auflage (#82), Bemerkungen zu weiteren Auflagen (#83), Bestandnachweis in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen (BFSt) (#84), Bestandnachweis in anderen Bibliotheken (Sigel:Signatur) (#85), Bibliographische Angaben. – Bemerkungen (#86), Interne Bemerkungen (#87) – d.h. Notizen, die nicht im Anzeigefeld sichtbar sind, z.B. wenn es sich um das einzige nachweisbare Exemplar handelt, sowie gegebenenfalls URL (#8e), URN (#95) und PURL (#96) für die eindeutige Identifikation eines Internetdokuments.

Alle eingepflegten Daten können je nach Fragestellung isoliert voneinander abgerufen werden. In diesem Sinne habe ich ausgewertet, wie viele Bücher überhaupt nachgewiesen werden konnten, wie viele Büchertitel für die jeweiligen Altersgruppen vorhanden waren, ob alle ausgearbeiteten Klassifikationsgruppen bzw. welche Gattungen vertreten sind und in welcher Anzahl bzw. Verteilung.

Abbildung 2: Nachweisbarkeit der Büchertitel der Kinderbibliothek des Waisenhauses

Abbildung 2: Nachweisbarkeit der Büchertitel der Kinderbibliothek des Waisenhauses

Abbildung 2: Nachweisbarkeit der Büchertitel der Kinderbibliothek des Waisenhauses

Die Abbildungen stellen einige Beispiele meiner Auswertung dar. Zuerst fiel mir auf, dass den Unterklassen nur 70 unterschiedliche Titel zum Lesen zur Verfügung standen, die Mittelklassen aber aus 112 Titeln wählen konnten (s. Abbildung 3). Insgesamt konnte ich 157 der 190 Bücher nachweisen, die für die Unterklassen und Mittelklassen im Verzeichnis vermerkt sind. Die restlichen 33 Titel konnten nicht eindeutig bzw. keinem Buch zugeordnet werden (s. Abbildung 2). Dies hatte damit zu tun, dass die Titel nicht komplett bzw. nur in sehr kurzer Form – ein bis drei Worte – im Verzeichnis hinterlegt sind und zudem den meisten Titeln kein/e Autor/in zugeordnet ist. Interessant für die klassifikatorische Auswertung ist, wie Abbildung 4 zeigt, dass die meisten Titel den Moralisch belehrenden Schriften angehören, es folgen Literatur zur Vermittlung von Wissen und Weltkenntnis, Religiöse Schriften und Werke für den Lese- und Schreibunterricht.

Abbildung 3: Unterteilung der Büchertitel in Klassifikationen

Abbildung 3: Unterteilung der Büchertitel in Klassifikationen

Abbildung 3: Unterteilung der Büchertitel in Klassifikationen

Man könne durch die Auswertung thesenhaft schlussfolgern, dass die Anzahl der Titel begrenzt war, um die Kinder gezielt altersentsprechend zu fördern und zugleich präventiv der ‚Lesewut‘ entgegenzuwirken. Insbesondere die moralische Erziehung scheint hier im Vordergrund gestanden zu haben. Warum in einer Kinderbibliothek des 19. Jahrhunderts vor allem Bücher aus dem 18. Jahrhundert zusammengestellt wurden, hängt sicher nicht zuletzt damit zusammen, dass sich ab der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur ein eigener Markt für Kinder- und Jugendliteratur, sondern auch ein Kanon etabliert hatten. Signifikant dabei zu erwähnen ist, dass sich die damalige Kinder- und Jugendliteratur von der heutigen Kinder- und Jugendliteratur in einem wichtigen Punkt unterschied, denn anders als heute diente sie damals nicht zur Unterhaltung, sondern zur Bildung. Dies könnte ein weiterer Grund für die offenkundige Orientierung an Kinderliteratur des 18. Jahrhunderts sein.

Das Praktikum war sehr bereichernd für mich, da ich die Arbeitsbereiche der Bibliothek und des Archivs des Studienzentrums August Hermann Francke kennen lernen durfte. Vor allem konnte ich meine Kenntnisse in der Titelrecherche erproben und erweitern. Zudem habe ich in den Erwerb von Büchern für die Bibliothek hinein schnuppern dürfen. Meine Arbeit konnte ich zeitlich selbst einteilen und selbstbestimmt ausführen. Wenn ich Hilfe benötigte, fand ich diese immer gleich bei meiner Praktikumsbetreuerin Frau Anke Mies sowie bei Frau Dr. Britta Klosterberg und Herrn Michael Hübner. Nachdem die historische Kinderbibliothek nun zum Teil – für die Unterklassen und Mittelklassen – rekonstruiert wurde, wäre es natürlich schön, dies für die Oberklassen fortzusetzen. Dank des Allegro-Indexes ist es möglich zu ermitteln, welche Bücher noch in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen vorhanden und welche Bücher käuflich erworben werden können, zudem welche Kosten für eine solche Wiederbeschaffung anfallen würden. Dies ist aber derzeit mit den begrenzten Erwerbungsmitteln in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen nicht möglich.

Franziska Feller

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