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Jenseits

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Friedrich Gottlieb Klopstock: Das Wiedersehn

Der Weltraum fernt mich weit von dir,
So fernt mich nicht die Zeit.
Wer überlebt das siebzigste
Schon hat, ist nah bei dir.

Lang sah ich, Meta, schon dein Grab,
Und seine Linde wehn;
Die Linde wehet einst auch mir,
Streut ihre Blum' auch mir,

Nicht mir! Das ist mein Schatten nur,
Worauf die Blüte sinkt;
So wie es nur dein Schatten war,
Worauf sie oft schon sank.

Dann kenn' ich auch die höhre Welt,
In der du lange warst;
Dann sehn wir froh die Linde wehn,
Die unsre Gräber kühlt.

Dann … Aber ach ich weiß ja nicht,
Was du schon lange weißt;
Nur daß es, hell von Ahndungen,
Mir um die Seele schwebt!

Mit wonnevollen Hoffnungen
Die Abendröte kommt:
Mit frohem, tiefen Vorgefühl,
Die Sonnen auferstehn!


Friedrich Gottlieb Klopstock: Das Wiedersehn (1797). In: Ders.: Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, Bd. I: Oden, hg. v. Horst Gronemeyer u.a., Berlin/New York 2010, S.553.

Die Orthographie wurde behutsam der heutigen Schreibweise angepasst.


Zu Lebzeiten verfasste Margareta (Meta) Klopstock zehn Briefe von Verstorbenen an Lebendige nach dem Vorbild Friendship and Death: Twenty Letters from the Living tot he Dead (1728) von Elisabeth Singer Rowe (1674-1732). Veröffentlicht wurden die Briefe jedoch erst 1759 durch F.G. Klopstock, ein Jahr nach Margareta Klopstocks Tod. Im Neunten Brief nimmt sie die Perspektive ihres Poetengatten Friedrich Gottlieb Klopstock ein und schreibt in seinem Ton einen fiktiven Brief an sich selbst als hinterbliebene Witwe.

Neunter Brief

Meine einzige Cidli[1]!

Die Stunde war gekommen, die Stunde welche du so sehr fürchtetest, und zu der du dich dennoch so sehr bereitetest, die Stunde war gekommen, die mich für eure Welt auf ewig von dir nahm! Aber wie ist das Ewige eurer Welt so kurz! – Jetzt ist die erste Heftigkeit deines Schmerzes gestillt. Ich habe so lange gewartet, an dich zu schreiben, du Beste!
Wie zärtlich war es von dir, zu wünschen, dass du die Nachbleibende sein möchtest! Jetzt bist du es. Hast du aber auch Kräfte dazu? Ach, bitte Gott, bitte Gott um Kräfte! Du bist schwach; dennoch tadle ich dich nicht. Es ist noch so kurz, dass ich im irdischen Leibe eingeschlossen war; ich weiß noch sehr wohl, wie schwer es ist, sich zu den hohen Tugenden hinaufzuschwingen. Dies ist hohe Tugend: Das Kreuz tragen, wie Gott will! Das weiß ich wohl, dass meine Cidli nicht murrt, das weiß ich wohl! Ach, ich sehe es, dass du es auch gelassen erträgst.
Aber, meine Cidli, du bist zu niedergeschlagen. Der Gram, die Traurigkeit, die jetzt so tief in deinem Herzen wohnt, die suchst du nicht zu hemmen; du nährst sie vielmehr, so viel zu kannst. Weinen ist jetzt dein Vergnügen und du glaubst, du habest genug getan, wenn du nur stille weinst. Aber das ist nicht genug! Du musst dich von deinem Weinen erheitern und aus deiner Einsamkeit dich losreißen. Du musst Teil an der Schöpfung und an dem schönen Geschöpf, dem Menschen, nehmen. So lange du in der Welt bist, hört deine Pflicht zu nützen nicht auf und du, Cidli, kannst nützen. Meinst du jetzt, da ich tot bin und da Gott uns die große Freude der Ehe, die Glückseligkeit der Erde, nicht gegeben, weil er uns ohne Kinder gelassen hat, deine Verbindung mit der Welt habe jetzt aufgehört? Geh, suche dir Kinder! Suche dir Freunde! Lass alle, die du lehren kannst, den Unendlichen [zu] lieben, dir Mann und Kinder sein.
Ich weiß, meine Cidli, du wirst dich, wenn du dieses gelesen hast, deiner Traurigkeit entreißen, du, die so sehr strebt, ihre Pflichten zu tun und deswegen ist es mir erlaubt, dieses Mittel zu gebrauchen, das nur für so wenige erlaubt wird. Ach, meine Cidli, wie liebte ich dich, wie hing meine Seele an deiner Seele! Du beste Frau, wie sehr verdientest du es! Eine Liebe wie unsre Liebe – sie war Gott wohlgefällig, weil wir ihn nicht dabei vergaßen, weil wir ihm dankten, dass wir uns gefunden hatten und ihn zusammen anbeteten! Oh, du Einzige, wie oft habe ich dich, in meinen Umarmungen, deine Augen gen Himmel heben und die volle Andacht deines Herzens darin gesehen. Oh, wie dankte ich dann Gott, der mir diese so gewiss zur Seligkeit bestimmte Seele gegeben hatte. Gehe hin, Cidli, und lehre auch das die Welt, die nicht glaubt, dass man zugleich lieben und beten könne. Lehre sie die reine Liebe, die Tugend ist, die Gott gefällt.
Aber Cidli, wie liebe ich dich jetzt! So liebe ich dich, dass sogar im Himmel mein Herz sich nach dir sehnt. Oh, wenn du erst hier bist! Wenn du erst mit mir anbetest! Hier anbetest, von Angesicht zu Angesicht! Oh, Cidli, ein heiliger Schauer fasst mich. Wer kann vom Anschauen des Ewigen sprechen? Ein Endlicher zu einer noch so sehr Endlichen? Wie wird dir sein! –  Sie ist unaussprechlich, sie ist unaussprechlich, die Liebe, womit er uns liebt. Du wirst zu uns kommen, meine Gewählte. Fürchte dich nicht vor den Sünden, die dich jetzt beunruhigen. Ich will sie nicht klein machen. Was ihr Fehler nennt, vor dem Heiligen sind‘s große Sünden. Aber sie ist unaussprechlich, sie ist unaussprechlich die Liebe, womit er vergibt. Orion[2], der dir unsichtbar dies bringt, wird über dich wachen, wird dein Herz immer heiliger machen, Orion, unser Engel auf der Erde. Denn, meine Cidli, wir so sehr Vereinigte auf der Erde hatten nur einen Engel.

[1] Cidli ist der Name der Figur in Klopstocks Oden und Messias, die sinnbildlich für Margareta Moller steht.

[2] Fester Bestandteil der Briefe von Verstorbenen an Lebendige ist der Schutzengel als Überbringer der Briefe aus dem Jenseits. Sich nahestehende Seelen haben dabei oft einen Schutzengel gemeinsam.


Klopstock, Margareta: “Briefe von Verstorbenen an Lebendige.” Klopstock: Sämtliche Werke, Band 11, Leipzig: Verlag Joachim Göschen, 1823, S. 97–146.

Die Orthographie wurde behutsam der heutigen Schreibweise angepasst.
Formatiert und kommentiert von Anja Pönisch.

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