Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Weiteres

Login für Redakteure

Wiebke Assenmacher: Praktikum in der Marienbibliothek Halle

(© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

(© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

(© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

Das dem Modul „Materielle Kultur der Aufklärung“ des Studiengangs angegliederte Praktikum habe ich in der Marienbibliothek Halle    absolviert. Angefangen habe ich es während der Semesterferien im März 2017, es dann veranstaltungsbegleitend bis Juni 2017 fortgesetzt und mein Projekt anschließend im Rahmen ehrenamtlicher Mitarbeit weitergeführt. Hauptsächlich habe ich mich mit der Identifizierung und Katalogisierung von Provenienzmerkmalen beschäftigt; darüber hinaus aber auch einen Teil der jährlichen Kabinettausstellung – 2017 zur Geschichte der Marienbibliothek – vorbereitet.

Die Marienbibliothek Halle wurde 1552 durch eine Spende gegründet, die auf einen Aufruf Martin Luthers zurückgeht, laut dem allgemeinbildende Bibliotheken eingerichtet werden sollten. Dieser Anforderung gerecht werdend ist die Marienbibliothek bis heute zwar eine Gemeindebibliothek, beschränkte sich aber nicht auf die Anschaffung theologischer Werke. Ihr Bestand umfasst stattdessen Titel aus allen Wissenschaftsbereichen, die überwiegend vor 1900 erschienen, da seitdem die Sammeltätigkeit eingestellt wurde. Somit ist die Marienbibliothek heute eine öffentliche Präsenzbibliothek mit historischen Beständen, die überwiegend zur Forschung genutzt werden.

Darüber hinaus gehören zum Bestand Marienbibliothek einige hallenser Gemeindearchive, eine große Gesangbuchsammlung und mehrere geschlossene Gelehrtenbibliotheken aus dem 18. Jahrhundert, die nicht in den allgemeinen Bestand aufgegangen sind. Die insgesamt 38.000 Bände umfassen teils mehrere Titel, die noch nicht vollständig katalogisiert und online recherchierbar sind. Durch ihre Gründungsgeschichte sowie ihre Bestände gehört die Marienbibliothek zu den Luther-Orten in Halle und ist im Rahmen des Reformationsjubiläums im Jahre 2017 besonders interessant für Besucher und Medien. Trotzdem konzentrierte sich die diesjährige Kabinettausstellung nicht ausschließlich auf diesen Aspekt, sondern auf die gesamte Institutionsgeschichte.

(© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

(© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

(© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

(© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

(© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

(© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

Mein Schwerpunkt in der Ausstellungsvorbereitung waren die Gelehrtenbibliotheken, die überwiegend als testamentarische Schenkungen in die Marienbibliothek kamen. Einige hallenser Professoren und Verleger – darunter Johann Christlieb Kemme, dessen Bibliothek ich im Rahmen dieses Berichts exemplarisch genauer beleuchten werde – vererbten im 17. und 18. Jahrhundert ihren Buchbesitz der Marienbibliothek, zum Teil inklusive Regalen (heute nicht mehr erhalten) und Katalogen (2017 von der Unibibliothek Halle digitalisiert und online einsehbar: handschriftliche Kataloge).

Zu den ans Erbe geknüpften Bedingungen gehörte, die Signaturen und Aufstellungen zu erhalten, so dass sich in der Marienbibliothek heute exakt nachvollziehen lässt, welche Werke Johann Kemme besaß und wie diese in seinem Bücherregal standen. Aussagen lassen sich jedoch nicht nur hinsichtlich der Titel und Interessensgebiete treffen – als Mediziner besaß Kemme überwiegend entsprechende Fachliteratur –, sondern auch über die Herkunftsgeschichte der Bücher und Kemmes Kontaktnetzwerk.

Bereits in der Vitrine sollten beide Aspekte exemplarisch dargestellt werden, was sich unter anderem aufgrund der geringen Ausstellungsfläche als Herausforderung darstellte. Die Dissertation Johann Christian Reils gehört jedoch zu den idealen Beispielen: Der hallenser Mediziner promovierte über eine Lungenkrankheit und auf der Vakatseite findet sich eine Widmung, laut der Reil dieses Exemplar Professor Kemme geschenkt hat.

Bereits im Rahmen der Ausstellungsvorbereitung habe ich begonnen, die Bände der Gelehrtenbibliotheken auf Provenienzmerkmale zu untersuchen und habe dieses Projekt nach der Ausstellungseröffnung fortgesetzt. Dokumentiert habe ich Einbandprägungen und Stempel, Marginalien, handschriftliche Besitzeinträge sowie Exlibris und deren Position innerhalb des Bandes. Besitzeinträge wurden dabei mit Wortlaut und Zeilenumbrüchen aufgenommen, Marginalien dagegen nur als ‚vorhanden‘ vermerkt. Dies ist einerseits der Größe der Gelehrtenbibliotheken – Kemme allein besaß 3650 Bände, die durchgeblättert werden mussten – andererseits der Ausführlichkeit mancher handschriftlicher Bemerkungen geschuldet.

Teilweise konnte ich dabei auf die Revisionslisten aus dem Jahr 2014 zurückgreifen, zielte mit meinem Projekt jedoch nicht nur auf das Vorhandensein der Provenienzmerkmale, sondern auch auf deren Zuordnung ab. In einem zweiten Schritt habe ich mich daher mit der Identifizierung von Exlibriseignern und Vorbesitzern befasst. Die Recherche erfolgte überwiegend online, teilweise aber auch anhand der Bestände der Marienbibliothek. Für Vorbesitzer mit theologischer Profession erwies sich beispielsweise das „Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen“ als besonders hilfreich, bedingte aber, dass ich die Informationen ‚Name und Beruf‘ den gefundenen Provenienzmerkmalen bereits entnehmen konnte. Als so ausführlich erwiesen sich die Einträge jedoch nicht in allen Fällen und insbesondere die Zuordnung der Exlibris erwies sich als zeitaufwändig und teils nicht erfolgreich. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass es in Deutschland kein bundesweites Verzeichnis von Exlibris gibt, das auch nach Schlagworten und nicht nur nach Besitzern durchsuchbar ist. Das hilfreichste Portal war das virtuelle Kupferstichkabinett   , das Bestände aus Braunschweig und Wolfenbüttel verzeichnet.

Trotz dieser Rechercheschwierigkeiten ließen sich die Provenienzen einiger Bände über mehrere Etappen hinweg rekonstruieren: Bände aus dem Besitz Georg Leonhard Huths gelangten zunächst in die Bibliothek David Samuel Madais und wurden im Rahmen einer Auktion von Johann Christlieb Kemme erworben, der sie an die Marienbibliothek vererbt hat. Beziehungsweise gelangten sie im 18. Jahrhundert aus dem Raum Nürnberg (Huths Herkunft) nach Halle. Diese Informationen werden (Stand: Anfang August 2017) von mir derzeit in den OPAC    der Marienbibliothek eingearbeitet und sind bei der Auswahl „Provenienzen" auch recherchierbar.

Durch die Provenienzangaben wird in erster Linie die Geschichte des einzelnen Exemplars dargestellt; größere Bestände der gleichen Provenienz ermöglichen außerdem Rückschlüsse auf die Bibliotheken und damit Interessen der Vorbesitzer sowie auf die Kontakte einzelner Besitzer. Provenienzmerkmale, insbesondere Widmungseinträge, sind die Freundeslisten sozialer Netzwerke aus dem 18. Jahrhundert. Kemme kann ich zum derzeitigen Zeitpunkt drei Freunde nachweisen – von ihnen gibt es Widmungseinträge, die sich namentlich an Kemme richten. Ich habe 13 Vorschläge für Personen, die er vielleicht kennt – ihre Besitzeinträge kann ich einer konkreten Person zuordnen, aber noch nicht gesichert sagen, inwiefern Kemme sie persönlich kannte. Darüber hinaus gibt es mehr als ein Dutzend Besitzeinträge, die ich noch nicht identifizieren konnte.

Datenbank (© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

Datenbank (© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

Datenbank (© Wiebke Assenmacher/Marienbibliothek)

Zu den 13 Personen zählt auch David Samuel Madai, dessen Werke Kemme 1782 auf einer Auktion erwarb. Selbst wenn er Madai nicht persönlich kannte, lässt sich daraus ablesen, dass dessen Buchbesitz von Kemme als bedeutend genug angesehen wurde, Bände daraus erwerben zu wollen. Der Gebrauchtbuchmarkt stellt auch im 18. Jahrhundert, aus dem die untersuchte Gelehrtenbibliothek stammt, einen lukrativen Geschäftszweig dar, wird meinem Eindruck nach im Rahmen der Buchhandelsgeschichte bisher jedoch nur wenig berücksichtigt. Einer der derzeitigen Forschungsschwerpunkte für das 18. Jahrhundert stellt dabei die Verbreitung aufklärerischer Ideen durch Buchhandel dar. Provenienzforschung bietet diesbezüglich eine Ergänzung zum bisher erforschten Weg „Verleger – Multiplikator – Leser“ um „Erstleser – Zweitleser“. Doch um diesen Ansatz zu verfolgen, wäre eine bessere Vernetzung und Recherchierbarkeit von Provenienzen von Vorteil.

Erarbeiten konnte ich mir im Rahmen des Praktikums auf diesem Gebiet einen kleinen Eindruck, der mein persönliches Vorwissen gut ergänzt. Mein Vorgehen konnte ich mir selbst erarbeiten, bekam aber jederzeit Unterstützung von Frau Fiebiger, so dass sich ein Praktikum parallel zu mehreren Univeranstaltungen gut realisieren ließ. Aufgrund der Personalstärke (eine bezahlte Mitarbeiterin) erhielt ich zudem einen intensiven Einblick sowie Beteiligungsmöglichkeiten an allen Aufgabenbereichen, die den Arbeitsalltag in der Marienbibliothek ausmachen. Somit war ein Praxis- beziehungsweise Kundenbezug immer vorhanden, der mir sehr viel Spaß gemacht hat. Ich freue mich darüber, dass ich mein Praktikum in der Marienbibliothek absolvieren durfte und auch darüber hinaus als ehrenamtliche Helferin willkommen bin.

Zum Seitenanfang