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Johanna Wildenauer: Praktikum an der Klassik Stiftung Weimar

Im Frühjahr 2021 absolvierte ich mein Praktikum an der Klassik Stiftung Weimar   . Diese widmet sich schwerpunktmäßig der Weimarer Klassik und deren kulturhistorischen Nachwirkungen, befasst sich aber ebenso intensiv mit Bauhaus und Moderne. Die Hauptanliegen sind einerseits die Pflege der erhaltenen Sammlungen und des kulturellen Erbes, sowie andererseits die Erforschung derselben und die öffentlichkeitswirksame Vermittlung der gewonnenen Erkenntnisse. Zu den zentralen Einrichtungen zählen neben den einschlägigen Dichterhäusern die Herzogin Anna Amalia Bibliothek, das Goethe- und Schiller-Archiv, das Liszt-Haus, das Nietzsche-Archiv und das Bauhaus-Museum. Hinzu kommen diverse Schlösser, Parks und Gärten, mit denen die Stiftung das Stadtbild Weimars prägt.

Während meines Aufenthaltes konnte ich durch die Teilnahme an Sitzungen, Vorträgen und Begehungen die unterschiedlichen Facetten der Stiftung kennenlernen. Einen Höhepunkt bildete der Besuch des Zentralen Museumsdepots. Führungen in der herzoglichen Bibliothek und in den Dichterhäusern gewährten mir einzigartige Einblicke und rundeten meine Tätigkeit ab. Mein Hauptarbeitsort war jedoch das Goethe-Nationalmuseum   . Dieses setzt sich aus Goethes Wohnhaus am Frauenplan und dem benachbarten modernen Museumsgebäude zusammen. Derzeit findet eine Umgestaltung der Dauerausstellung statt, welche nicht nur eine konzeptionelle Neuausrichtung, sondern auch umfassende Digitalisierungsprojekte einschließt. Beides hatte Einfluss auf meine konkreten Arbeitsaufgaben. Nach einer inhaltlichen Einarbeitung in die Geschichte des Hauses und die museale Gestaltung desselben, widmete ich mich in erster Linie der Arbeit an der Museumsdatenbank.

Die Klassik Stiftung Weimar betreibt mehrere Datenbanken   , die für die interne oder externe Nutzung vorgesehen sind. Sie widmen sich insbesondere den Beständen der Museen sowie Archive und ermöglichen den ortsunabhängigen Zugriff auf Informationen verschiedener Art. Sie sind ergiebige Forschungsinstrumente und eröffnen detaillierte Einblicke in zuvor nicht frei zugängige Teile der Sammlung. In meinem Praktikum konnte ich einen kleinen Beitrag zu diesem Großprojekt leisten, indem ich einen konkreten Datensatz überarbeitet habe. Dieser umfasst die Visitenkarten aus Goethes Privatbesitz. Die Originale befinden sich aus konservatorischen Gründen inzwischen im Goethe- und Schiller-Archiv. Die digitale Erfassung fand im Rahmen der Übergabe statt, die inhaltliche Aufbereitung ist hingegen ein fortlaufender Prozess

Die Visitenkarten befanden sich ursprünglich in Goethes Arbeitszimmer © Klassik Stiftung Weimar

Die Visitenkarten befanden sich ursprünglich in Goethes Arbeitszimmer © Klassik Stiftung Weimar

Die Visitenkarten befanden sich ursprünglich in Goethes Arbeitszimmer © Klassik Stiftung Weimar

Meine Hauptaufgabe bestand in der Datierung der Visitenkarten. Eine möglichst genaue Kenntnis des Kartenalters ist nicht nur für die Vollständigkeit der Daten relevant. Anhand der Übergabedaten lässt sich die Überlieferung der Objekte nachvollziehen, was Rückschlüsse auf Goethes soziales Netzwerk ermöglicht. Einer bewusst über mehrere Jahrzehnte aufgehobenen Visitenkarte mit persönlicher Widmung muss ein anderer Wert zugeschrieben werden als einer kurz vor Goethes Tod ins Haus geflatterten Notiz eines regelmäßigen Gastes. Ähnlich wichtig wie die Datierung waren eine allgemeine Kontextrecherche, die Identifizierung der namentlich auftretenden Personen sowie Abgleich und Verknüpfung der gesammelten Informationen mit den vorhandenen Normdaten. In Einzelfällen habe ich zu den Visitenkarten und anderen Sammlungsobjekten kurze Präsentationstexte verfasst. Diese bündeln Hintergrundinformationen und bilden die Grundlage für eine potenzielle spätere Vermittlung, beispielsweise im Rahmen einer Ausstellung.

Visitenkartenbündel © Klassik Stiftung Weimar

Visitenkartenbündel © Klassik Stiftung Weimar

Visitenkartenbündel © Klassik Stiftung Weimar

Der besondere Überlieferungszusammenhang des Goethehauses führt dazu, dass sein Nachlass sowohl individuell interessant als auch repräsentativ für seine Zeit ist. Die Visitenkarten sind ebenfalls sowohl biographisch als auch historiographisch aufschlussreich. Sie sind als Quellen zur Analyse von Gelehrtennetzwerken ebenso geeignet wie zur Untersuchung von Alltagskultur. Sie geben Einblick in Goethes Sozialleben und in die allgemeine Besuchspraxis der Zeit. Im Vergleich zu anderen Objekten weisen sie außerdem die Besonderheit auf, dass es sich bei ihnen um schrifttragende Artefakte handelt. Sie sind also sowohl wie Texte als auch wie Objekte zu behandeln. Im Falle namentlich unbestimmter Karten können Material, Gestaltung und Handschrift Indizien für die individuelle Zuordnung sein. Handschriftliche Ergänzungen auf gedruckten Karten sowie hierbei wiederholt verwendete Abkürzungen (etwa p.p.c. für pour prendre congé) stellen typische Modifikationen dar, die Rückschlüsse auf die Übergabesituation zulassen. Eine exakte Datierung oder die Beschreibung der genauen Übergabe ist indes nur anhand ergänzender Quellen möglich. Goethes Tagebucheinträge, Briefe und Selbstzeugnisse der Besucherinnen und Besucher sind hierfür gleichermaßen aufschlussreich. In diesem Zusammenhang sei auf die Edition der Begegnungen und Gespräche    ebenso verwiesen wie auf das Überblicksprojekt zu Goethes Biographica PROPYLÄEN   .

Es ist davon auszugehen, dass die erhaltenen Visitenkarten nur einen Bruchteil der Weimarer Besucherschar abbilden. Inwiefern sie systematisch gesammelt oder rein zufällig überliefert wurden, ist nicht abschließend geklärt. Sie entstammen dem Arbeitszimmer, dem Herzstück des Wohnhauses. Dieses wurde unmittelbar nach Goethes Tod 1832 inventarisiert und annähernd im Originalzustand erhalten. Es lag daher nahe zu vermuten, dass ein Großteil des Konvoluts aus Goethes letzten Lebensjahren stammt und zum Zeitpunkt des Todes gemeinsam mit der übrigen Einrichtung musealisiert wurde. In vielen Fällen konnte diese Vermutung bestätigt werden, vereinzelt gibt es jedoch Hinweise auf eine längere Überlieferungsgeschichte.

Anonym: Visitenkarte „Vorposten des Frühlings“, KSW, GSA, Ggr-2020/04.79

Anonym: Visitenkarte „Vorposten des Frühlings“, KSW, GSA, Ggr-2020/04.79

Anonym: Visitenkarte „Vorposten des Frühlings“, KSW, GSA, Ggr-2020/04.79

Ähnlich wie mein übriges Studium war das Praktikum an der Schnittstelle zwischen verschiedenen Disziplinen und Arbeitsweisen angesiedelt. Es gab mir die Gelegenheit, technische Fähigkeiten zu vertiefen und war zugleich inhaltlich anspruchsvoll und bereichernd. Die Verschiebung meiner Perspektive von der rein theoretischen Wissensaneignung hin zur praktischen Anwendbarkeit und Vermittlung der erworbenen Kenntnisse war für mich besonders wertvoll. Mir wurde deutlich vor Augen geführt, inwiefern die universitäre Forschung und die publikumsorientierte Museumsarbeit einander wechselseitig befruchten können. Die digitale Aufbereitung spielt hierbei eine besondere Rolle. Zum Aufbau der Datenbanken sind neben technischer Expertise ein hohes Maß an Sachkenntnis und fundierte Recherchen unverzichtbar. Zugleich müssen praktische Aspekte in Erwägung gezogen werden. Der Hauptzweck ist nicht die reine Konservierung von Daten, sondern die Erarbeitung einer Grundlage für spätere Forschung, Wissensvermittlung oder private Weiterbildung. Datenbanken sollen klassische Sammlungsformate und Wissensspeicher nicht ersetzen, bilden aber eine wertvolle Ergänzung derselben und eröffnen neue Möglichkeiten der Zusammenschau von Objekten, der Entwicklung neuer Forschungsfragen und der anschaulichen Vermittlung an eine breite Öffentlichkeit. In diesem Sinne war ich sehr dankbar für die Möglichkeit, im Rahmen meines Praktikums an der digitalen Sammlungserschließung mitarbeiten zu können.

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