Hannes Soltau: Praktikum an der Klassik Stiftung Weimar
Ich absolvierte die Praxisphase des Moduls „Materielle Kultur der Aufklärung“ von Mai bis Juli 2015 in der Klassik Stiftung in Weimar . In dieser Zeit bekam ich vielfältige Einblicke in die Bereiche Arbeit mit materieller Kultur und Konzeption und Organisation von Veranstaltungen zur Vermittlung kultureller Inhalte. Die Klassik Stiftung ist eine der größten Kulturstiftungen Deutschlands. Sie betreut und verwaltet eine Vielzahl von historischen Wohnhäusern, Schlössern, Museen und Parkanlagen in und um Weimar, darunter das Stadtschloss sowie Goethes und Schillers Wohnhäuser. Ich hospitierte im Stabsreferat „Forschung und Bildung“ und war dort in den Arbeitsbereichen Erschließung und Vermittlung tätig.
Rückblickend kann festgehalten werden, dass mein Praktikum durch drei Phasen gekennzeichnet war.

Das Weimarer Stadtschloss ist der Sitz des Referats "Forschung und Bildung". © Klassik Stiftung Weimar
Internationales Schülerprogramm „Menschenbilder“
In den ersten zwei Wochen begleitete ich bereits bestehende Projekte, die im Bereich der Vermittlung des Kulturerbes des 18. Jahrhunderts ange- siedelt waren. Dazu gehörte das Programm „Menschenbilder“, das die Dialektik der Aufklärung, ausgehend von den aufklärerischen Idealen der Weimarer Klassik bis zum Nationalsozialismus, nachzeichnete. Gemeinsam mit einer italienischen Jugendgruppe näherten wir uns über Ortsbesuche in Kultureinrich- tungen und Museen den Ideen und Konzepten aufkläre- rischen Denkens im 18. Jahrhundert. In Ergänzung dazu fand ein Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald statt.

Das Wieland-Zimmer im Weimarer Stadtschloss ist eines von vier Zimmern, die die Großherzogin Maria Pawlowna ab 1835 als Memorialstätten für die berühmtesten der verstorbenen Weimarer Literaten gestalten ließ. © Klassik Stiftung Weimar
Interdisziplinäres Studienprogramm „Text-Bild-Relationen“
Im Anschluss daran wurde ich mit der Aufgabe der Organisation eines Kooperationsseminars betraut, in dem Studierende und Lehrende der Uni- versitäten Jena, Halle und Weimar neue Vermittlungskonzepte erarbeiteten. Die besondere Herausforderung bestand in der intermedialen Konstellation von Kunst- und Textwissenschaften sowie in der Verbindung von wissen- schaftlichen und gestalterischen Zugängen. In diesem Kontext unterstützte ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Referats sowohl bei der Objektrecherche, als auch bei der Vorbereitung und Ausführung des Seminars. Unter anderem koordinierte ich Vorträge und Führungen mit Referenten und die Besichtigung von Originaldrucken und Zeichnungen der Goethezeit sowie den Wand- gestaltungen der sogenannten Dichterzimmer, für die es entsprechende Vermittlungskonzepte zu erarbeiten galt.

Abbildung 1: Konzeptionsworkshop des Projektes "Der Neue Mensch" gemeinsam mit Vertretern der Klassik Stiftung Weimar, des Deutschen Hygiene Museums Dresden und der Stiftung Zollverein Essen. © Klassik Stiftung Weimar
Schülerprojekt „Der Neue Mensch“
Der Hauptteil meiner Zeit bei der Klassik Stiftung war jedoch durch die Arbeit im Projekt „Der Neue Mensch“ bestimmt. In diesem Programm forschten 50 Jugendliche aus Dresden, Essen und Weimar über die wiederkehrenden Idealvorstellungen vom Menschen in verschiedenen Epochen. Die Zehntklässler spürten über ein Schuljahr hinweg in Kleingruppen den ambivalenten Ideen vom „Neuen Menschen“ bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts nach. Je nach Standort arbeiteten sie dabei eng mit den beteiligten Institutionen zusammen. Dazu zählten die Klassik Stiftung Weimar, das Deutsche Hygiene Museum Dresden und die Stiftung Zollverein Essen .
Die grundlegenden Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen des „Neuen Menschen“ im Weimar des anbrechenden 20. Jahrhunderts konnten insbe- sondere an den Konzepten von Nietzsche, den Vertretern der Reform- pädagogik und des Bauhaus nachvollzogen werden. Von besonderem Interesse für mich als Student der „Kulturen der Aufklärung“ war die Tatsache, dass die neuen Theorien und Ideale jener Zeit sich meist als Korrektur und/oder Erweiterung der Ideale der europäischen Aufklärung verstanden.
Konkret bereitete ich für den dreitägigen Konzeptionsworkshop in Weimar eine Projektskizze für die Weimarer Schüler vor. Dafür begab ich mich für die Recherche vor Ort in das Nietzsche-Archiv und das Bauhaus-Museum. Dort ermittelte ich zu den zentralen Themengebieten die passende Objekte, Schauplätze und Vertreter. So wählte ich beispielsweise für die Veranschau- lichung der reformpädagogischen Ansätze des Bauhauses eine Wurfpuppe von Alma Siedhoff-Buscher aus. Diese war in den 1920er Jahren eine große Innovation auf dem Gebiet des Kindesspielzeugs und eine Manifestation der Idee einer „Neuen Kindheit“. Die Puppe war interaktiv gedacht und führte weg vom Gedanken der individuellen Beschäftigung im traditionellen Puppenspiel hin zum gemeinsamen Spiel, da man sie sich zuwerfen konnte.
Andere Themenbereiche, zu denen ich recherchierte waren u.a. Perfektibilität und Körperkult, Geschlechterrollen oder die Fortschrittsbegeisterung zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Für Hintergrundinformationen setzte ich mich intensiv mit Katalogen und der Sekundärliteratur auseinander. Am Ende entwickelte ich daraus ein selbst- ständig erarbeitetes Vermittlungskonzept, dass ich in einem mehrseitigen Konzeptpapier fixierte. Einen ersten Entwurf davon stellte ich den anderen Projektbeteiligten (Vertretern der Institutionen, LehrerInnen und SchülerInnen der Partnerschulen) vor und diskutierte meine Vorschläge mit externen Fach- experten. Meine Überlegungen orientierten sich zwar an den inhaltlichen und methodischen Vorgaben aus dem Förderantrag, allerdings konnte ich mit mei- nen Ideen die konkrete Durchführung des Projektes unmittelbar beeinflussen und hoffentlich um einige Facetten bereichern.
Am Ende meiner Praxisphase konnte ich den Verantwortlichen der Klassik Stif- tung so einen sinnvollen Beitrag für das langfristig angelegte Projekt „Der Neue Mensch“ übergeben. Wenige Monate nach meiner Weimarer Zeit bekam ich von den ehemaligen Kolleginnen, die die fortlaufende Konzeptionierung der Einzel-projekte sowie die konkrete Planung mit den Schulen vorantreiben, erste Zwischenergebnisse zugeschickt.
Die zwei Monate bei der Klassik Stiftung Weimar waren für mich rückblickend sehr gewinnbringend. Die Stadt lädt fortlaufend dazu ein, den Ideen und Konzepten der Epoche der Aufklärung nachzuspüren. Hinzu kommt, dass sich hier wohl mehr als an jedem anderen Ort die von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer beschriebene Dialektik der Aufklärung von Schiller über Nietzsche bis zur Perversion aufklärerischer Ideale in Buchenwald manifestierte. Alle diese ideengeschichtlichen Wendungen hinterließen materielle Zeugnisse. Die Auseinandersetzung mit und das Studium an diesen Objekten stellten einen bereichernden Abschluss meines Studiums im Rahmen der „Kulturen der Aufklärung“ dar.
Hannes Soltau