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Hirohito Mita: Praktikum am Gleimhaus in Halberstadt

Im Mai 2017 habe ich das Praktikum im Rahmen des Moduls zur materiellen Kultur der Aufklärung im Gleimhaus (http://www.gleimhaus.de   ) absolviert. Beim Gleimhaus handelt es sich um ein Museum sowie ein Archiv, das 1862 in Halberstadt gegründet wurde und zahlreiche Briefe und Porträts aus dem 18. Jahrhundert besitzt. Unter den Adressaten und Absendern sowie den Porträtierten befinden sich bedeutsame Figuren der deutschen Literaturgeschichte wie Lessing, Klopstock, Herder, Jean Paul und andere. Diese Sammlungen zählen zu einer der größten erhaltenen bürgerlichen Privatbibliotheken der Aufklärung.

Im Mittelpunkt meines Praktikums stand die Korrespondenz zwischen Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) und Johann Gottfried Herder (1744-1803). Als Aufgabe habe ich die Untersuchung der Briefe von Gleim an Herder gewählt, bei der ich mich vor allem mit der Transkription beschäftigt habe. Ein wichtiger Grund bestand darin, dass noch viele Briefe von Gleim an Herder ungedruckt blieben, während alle Briefe von Herder an Gleim bereits durch Wilhelm Dobbek und Günter Arnold editiert wurden.

Meine erste Arbeit war die Verzeichnung der brieflichen Daten, um zu klären, welche Briefe noch ungedruckt sind und mit welchen ich mich beschäftigen würde. Die Anzahl der gesamten Briefe von Gleim an Herder, die das Gleimhaus zum Zeitpunkt meines Praktikums aufbewahrt, beträgt 193 einschließlich einiger Abschriften. Darunter sind 106 ungedruckte Briefe, 87 Briefe waren schon durch Heinrich Düntzer veröffentlicht. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Düntzer die Briefe nicht ohne Fehler transkribierte, oder gar ganze Passagen ausließ. Im Rahmen meines Praktikums habe ich unter der Betreuung von Dr. Ute Pott, Direktorin des Gleimhauses, 37 von den ungedruckten 106 Briefen nach der chronologischen Reihenfolge und einige von Gleim an andere Empfänger zum Vergleich transkribiert.

Dabei konnte ich manchen Briefe wichtige Informationen insbesondere im Kontext von Herders Werken Briefe zu Beförderung der Humanität und Adrastea entnehmen, die noch nicht durch die gedruckten Quellen bekannt sind. Im Folgenden möchte ich mich aber auf solche Aspekte des Erkenntnisgewinns bei der Beschäftigung mit Handschriften konzentrieren, die auch im Vergleich mit den gedruckten Fassungen relevant sind: 1. Zustand des Originals, 2. Sichtbarkeit von Streichung und Einfügung, und 3. Mannigfaltigkeit von Schreibart und Leserlichkeit.

1. Zustand des Originals

Wenn man nur über den Inhalt eines Briefes spricht, ist vom Zustand des Originals kaum die Rede. Flecke oder Lücken sind aber selbstverständlich problematisch. Die Unlesbarkeit wegen eines Fleckes oder einer Lücke kann unter Umständen zu völlig verschiedenen Interpretationen führen. In Hinsicht auf die Leserlichkeit hängt dieser Aspekt mit dem zweiten und dem dritten zusammen.

Gleim an Herder, den 10. 04. 1794, Halberstadt (von Schreiberhand. Inventar-Nr. Hs. A 5022.)

Gleim an Herder, den 10. 04. 1794, Halberstadt (von Schreiberhand. Inventar-Nr. Hs. A 5022.)

Gleim an Herder, den 10. 04. 1794, Halberstadt (von Schreiberhand. Inventar-Nr. Hs. A 5022.)

Der Fleck bedeckt einen Teil des Briefs. Er ist nicht so schlimm, da die Wörter noch leserlich sind; es gibt aber auch Fälle, bei denen sie nur zu vermuten sind.

2. Sichtbarkeit von Streichung und Einfügung

In Handschriften bleiben Streichungen oder Einfügungen sichtbar. Sie können nützlich sein, um die Absicht(en) des Schreibers oder den Entwicklungsprozess seines Denkens zu erschließen. Aus diesem Grund sind manche gestrichene doch noch leserliche Sätze bei einer ideengeschichtlichen Untersuchung wichtig. Die Anwendung dieser Entzifferungsmethode macht das Alleinstellungsmerkmal des Originals deutlich. Obwohl mit einbezogen werden muss, dass es nicht immer nachvollziehbar ist, wann, wo, und was gestrichen oder überschrieben wurde, bietet es doch Möglichkeiten zur Frage und Diskussion, warum und für wen die Korrekturen erfolgten.

Gleim an Lessing, den 16. 08. 1758, Halberstadt (von Schreiberhand mit eigenhändigen Korrekturen von Gleim. Inventar-Nr. Hs. A 5945.)

Gleim an Lessing, den 16. 08. 1758, Halberstadt (von Schreiberhand mit eigenhändigen Korrekturen von Gleim. Inventar-Nr. Hs. A 5945.)

Gleim an Lessing, den 16. 08. 1758, Halberstadt (von Schreiberhand mit eigenhändigen Korrekturen von Gleim. Inventar-Nr. Hs. A 5945.)

In dieser Abschrift des Briefs kann anhand der Streichungen und Einfügungen die Spur der Überarbeitung nachvollzogen werden. Manche der gestrichenen Wörter sind entzifferbar genug, um Sätze vor der Änderung zu rekonstruieren.

3. Mannigfaltigkeit von Schreibart und Leserlichkeit

Es finden sich viele – und mehr noch als es Schreiber gibt – Schreibarten und Grade der Leserlichkeit. Denn ein und derselbe Schreiber kann zu verschiedenen Perioden oder in unterschiedlichen Situationen anders schreiben. Dieser Gesichtspunkt ist umso bedeutsamer, weil Gleim zum einen mehrere Schreiber hatte und zum anderen in seiner späten Zeit viel unleserlicher geschrieben hat. Die schwere Lesbarkeit seiner Schrift hat drei Gründe: 1) Er schrieb mit viel Tinte und daher ist der einzelne Buchstabe nicht immer klar erkennbar. 2) Er schrieb oft keinen i-Punkt, keinen u-Bogen, oder keinen Umlaut, die bei der Entzifferung sehr hilfreich sind. 3) Die Schrift des alten Gleims ist sogar noch unleserlicher, denn mit der Zeit wurde seine Sehkraft immer schlechter und er ist schließlich einige Jahre vor seinem Tod erblindet.

Gleim an Herder, den 20. 07. 1796, Halberstadt (von Gleims Hand. Inventar-Nr. Hs. A 5040.)

Gleim an Herder, den 20. 07. 1796, Halberstadt (von Gleims Hand. Inventar-Nr. Hs. A 5040.)

Gleim an Herder, den 20. 07. 1796, Halberstadt (von Gleims Hand. Inventar-Nr. Hs. A 5040.)

Der Brief wurde in Gleims später Zeit geschrieben. Seine Schrift, vor allem aus den 1790er Jahren, ist sehr fett und somit im Vergleich zur Schrift seiner Schreiber bei Weitem schwerer leserlich.

Anrede und Grußformel sind auch wichtige Elemente, da eine Korrespondenz dialogisch ausgerichtet ist. Sie erklären, wie eng die Beziehung zwischen dem Absender und dem Adressaten war. Die chronologische Transkription ermöglicht die zeitliche Entwicklung der Freundschaft zwischen den Freunden Gleim und Herder. Zum Zeitpunkt des 08. 02. 1767, als Gleim den ersten Brief an Herder schickte, kannte er seinen Adressaten noch nicht persönlich. Indem er „das Glück den Mann [Herder] zu kennen“ wünscht, schließt er den Brief mit der Selbstbezeichnung als dem „aufrichtigste[n] Freund u[nd] Diener“. Der zweite Brief nach ca. zwei Jahren zeigt die engere Beziehung: Gleim verwendet darin den Ausdruck „mein Freund“ und „mein Herder“ und schließt den Brief mit „Ihr Gleim“ statt „aufrichtigster Diener“. Ab Mitte 1770er Jahren hat sich die Beziehung zu einer familiären entwickelt. Gleim schreibt: „Die Nichte grüßt den Einzigen herder, und die Einzige herderin! Der Onkel seegnet Sie.“; Herder wiederum „lieber Vater Gleim“ oder „liebster Engelvater Gleim“ wie in Briefen von 1775. Endlich ab den 1790er Jahre ruft Gleim Herder „Herzensbruder“ und Caroline, Herders Frau, „Herzenschwester“. Dieses ist ein Merkmal der besonderen Freundschaft zwischen beiden Familien.

Im Laufe des Praktikums konnte ich meine Fähigkeit zur Entzifferung der Handschriften, deren Grundlage ich im Sommerkurs der Franckeschen Stiftungen sowie im universitären Seminar von Dr. Pott erworben hatte, erweitern, was die selbstständige Beschäftigung mit Handschriften in Zukunft ermöglichen wird. Die durch das Praktikum erworbenen Kenntnisse möchte ich an meine kommenden Untersuchungen über Herders spätes Denken anschließen.

Abschließend möchte ich mich bei Frau Dr. Pott für ihre freundliche Betreuung und geduldige Unterstützung herzlich bedanken.

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