Johanna Müller: Praktikum im Neuen Theater Halle
Das Modul Materielle Kultur der Aufklärung lädt die Student*innen dazu ein, die theoretischen Kenntnisse im Rahmen eines konkreten Projektes praxisbezogen zu erweitern. Das neue theater ist als Kultureinrichtung in der Stadt Halle bekannt und gehört zur Theater, Oper und Orchester GmbH Halle , die als Verwaltungseinheit im Hintergrund verbindend wirkt.

Neues Theater Halle © Falk Wenzel
Ich habe mein Praktikum neben dem Studium über den Zeitraum von fast einem Jahr absolviert. Begonnen hat es klassisch mit dem Vertrautmachen des Stückes, welches ich in der Funktion der Dramaturgiehospitanz begleiten sollte, Friedrich Schillers Wallenstein-Trilogie. Die Arbeit als Hospitantin ist dabei keine herkömmliche, in der man einen Schreibtisch und einen Stapel Literatur bekommt, sondern ein freier, kreativer Prozess. Wiederholtes Lesen der Stücke, die Gedankenkomplexe zu Interessen, Notwendigkeiten und „langatmigen“ Textpassagen freisetzen, ist dabei zunächst der Hauptanteil gewesen. In der Kommunikation mit dem Dramaturgen Alexander Suckel, der in stetigem Rücklauf das Konzept erklärte, mit welchem Matthias Brenner die Stücke zu inszenieren gedachte, lag ein anderer Schwerpunkt der Arbeit. Denn erst in der Auseinandersetzung konnten Ideen gefunden, Fehler behoben oder Entscheidungen getroffen werden. Urteilen ist dabei eine der Stärken, die ich einbringen konnte – und die zudem erforderlich war. Der künstlerische Prozess, der nicht explizit mit den Proben verbunden ist, setzt daher sehr viel eher ein als weithin angenommen. Alexander Suckel bat mich darüber hinaus um eine Recherche zum kulturhistorischen Kontext nicht nur von Schiller, sondern vor allem von Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein. Andere Schwerpunkte in der Suche waren der Dreißigjährige Krieg selbst, detailliert unter anderem in Augenzeugenberichten, Chroniken und Liedern, sowie Lyrik, die die Leiden, Repressionen und Gewaltexzesse des Krieges besonders thematisierten. Informativ waren für uns auch Berichte über Inszenierungen der Schillerschen Trilogie, Aufführungskontexte und Konzepte, die zu anderen Zeiten die Stücke auf der Bühne bestimmt hatten. Alle diese Informationen sind dabei nicht unbedingt an die Regie weiterzugeben, sondern bereit zu halten, um sie im Falle der Rückfrage parat zu haben. Außerdem ermöglichen sie situativ Anforderungen des Textes zu erkennen – denen nachzugehen, kann, je nach Regiekonzept, sinnvoll oder notwendig sein oder sich gar erübrigen.
Desweiteren erstellte ich in diesem Arbeitsprozess einige Materialien: eine Fabel und ein Szenarium, sodass jedes Stück, jeder Akt, jeder Auftritt in einer kurzen, prägnanten Zusammenfassung zur Verfügung steht. Dieses Vorgehen ist für die meisten Theaterinszenierungen sinnvoll, gerade jedoch, wenn gut 350 Seiten vorliegen. Die Gesamtheit der recherchierten Unterlagen bildeten einen fundierten Hintergrund für Gespräche zu Besetzungen und zur Gestaltung des Abends im Allgemeinen. Alexander Suckel bat mich zudem von Wallensteins Lager zunächst eine erste, grobe Strichfassung zu erstellen und nach diesem immer wieder weitergreifende Kürzungen am Text vorzunehmen. Sinn dieser Arbeit war es, die konkretisierte Idee hinter dem Text herauszuarbeiten. Es ist jedoch anzumerken, dass einiges des spielerischen Ansatzes von Schiller dabei verloren gehen musste – eine Notwendigkeit, die mit Übereinbringung von Länge des Stückes und Abends zu erklären ist.
Es stellten sich im neuen theater Halle und der zugehörigen GmbH jedoch im Frühjahr 2017 einige finanzielle Umstrukturierungen heraus, die den Wallenstein, wie er von uns vorbereitet und geplant war, nicht länger als machbar fixierten. Das Eingeständnis ein soweit gediehenes Projekt absagen zu müssen ist immer schwierig und Alexander Suckel fiel es zudem noch schwer, mir mein Praktikumsprojekt verkürzen bzw. auf halber Strecke absagen zu müssen. Daher kamen wir nach einem Gespräch überein, nicht die Hospitanz als solche zu beenden, sondern das Stück zu wechseln, damit ich auch den Probenprozess bis hin zur Premiere begleiten konnte. Das Sommertheaterstück war dann ein von ihm entwickelter Abend mit dem Titel Piraten! Ein Liederabend.

Piraten! © Neues Theater Halle
Dafür wurde meine Position um den Posten der Regiehospitantin erweitert, sodass ich in der Doppelfunktion bei den Proben einen weiteren Blick auf Struktur der Inszenierung, Bögen, Verständigkeit und Wirkungen einbringen konnte. Zusätzlich übernahm ich nach Absprache die künstlerische Grundgestaltung des Plakates und des Programmheftes. Dafür war vor allem die Kommunikation mit den Gewerken (hier v.a. Requisite, Maske, Kostüm) entscheidend und der umfassende Prozess eines funktionierenden Stadttheaters wurde mir offensichtlich. Auch sind dabei in Zusammenarbeit mit der Presseabteilung und einem Photographen Inszenierungsbilder entstanden, die auf der Internetseite des Theaters werben. Die letzte Probenwoche vor der Premiere ist eine besondere gewesen, da erst hier aus Probenkostümen die endgültigen wurden, Beleuchtung und die große Außenbühne im Innenhof des Theaters, sowie die Mikrophone hinzukamen und quasi ein ganz neues Bild entstand. Es ist eine entscheidende Entwicklung im künstlerischen Schaffen, da die Ansätze aus den Proben nicht verloren gehen sollen und dennoch meist eine neue Entfaltung im Spiel, der Regie und natürlich im Sehen allgemein entsteht. Die Premiere letztlich bildete den Abschluss für meine Hospitanz – ein letztes Bangen, da erstmals Zuschauer*innen begutachteten, was wir uns überlegt hatten. Tatsächlich gefiel der Liederabend sehr gut und die zwei Zugaben, die besprochen waren, genügten nicht, um dem Enthusiasmus des Publikums gerecht zu werden.
Insofern kann ich das Praktikum trotz des Stückwechsels und dem damit verbundenen Heraustreten aus dem Kontext des 18. Jahrhunderts als gelungen bezeichnen, da sich in den Schwierigkeiten auch die Notwendigkeiten von Absprache, Verlässlichkeit und Improvisations- und Kreativprozess besonders herausstellten. Ich habe das Theater als einen Ort der Kommunikation erlebt, indem ohne Vorurteile (auch teils abstrus wirkende) Ideen geäußert werden können. Dieser funktioniert nur, wenn alle Beteiligten an das Ergebnis denken und glauben. Alexander Suckel ermöglichte mir ein vielseitiges, freies und zudem eigenständiges Arbeiten, welches mit großen Verantwortungen verbunden war, und das ich zu schätzen lernte. Der künstlerische Prozess scheint mir dabei zwar vom akademischen Wissen zu profitieren, aber dennoch ganz anders strukturiert zu sein. Während ich denke, dass Wissenschaft letztlich Wahrheit, freilich immer eine neu auszuhandelnde, hervorbringen will, scheint mir auch das Theater Erkenntnisse fördern zu wollen. Diese jedoch sind nie zwingend von allgemeinem Anspruch, sondern können individuell sehr differenziert ausgeprägt sein, sodass Theater als Ort pluraler Wahrheiten definiert werden kann. Insgesamt erscheint es mir daher als gewinnbringender, offener, demokratischer und herzlicher Betrieb, den ich gern im Rahmen meines Studiums für eineinhalb Projekte unterstützte.
Johanna Müller